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Digitalisierung

Machine Learning: Unterstützung aus dem Datenkosmos

Die Digitalisierung macht die Arbeit in der Logistik leichter und effizienter. Waren- und Datenströme fließen dabei zusammen und schaffen Qualität und Transparenz über alle Prozessschritte hinweg. Mit Machine Learning analysiert und nutzt DACHSER die Daten aus dem operativen Tagesgeschäft und öffnet so neue Horizonte für intelligente Logistiklösungen mit Mehrwert.

Machine Learning unterstützt den Menschen im Logistikalltag.
Machine Learning unterstützt den Menschen im Logistikalltag.

Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts.“ Erstmals soll der britische Mathematiker und Datenwissenschaftler Clive Humby diese Analogie 2006 bei der Entwicklung einer Kundenkarte ins Spiel gebracht haben. Damals war das eine visionäre These. Heute ist Clive Humbys Vision längst Alltagsrealität, selbst die Politik greift das Bild immer wieder auf, wenn sie Fortschritt anmahnt. Aus gutem Grund: Das ganze Leben ist eingebettet in einen immer größeren, exponentiell anschwellenden Datenstrom. Dieser ist genauso selbstverständlich Teil unserer Realität wie der schnelle Blick aufs Smartphone, Chats mit Freunden und der Familie oder Videokonferenzen im Geschäftsalltag.

Daten sind zu entscheidenden Wirtschaftsfaktoren avanciert, die sogenannten GAFAM-Unternehmen – Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft – sind die Rockefellers und Ölscheichs des 21. Jahrhunderts und haben den großen Mineralölkonzernen den Rang als wertvollste Unternehmen der Welt längst abgelaufen. Manchen Zeitgenossen ist diese expandierende Datenherrschaft nicht geheuer, sie zeichnen düstere Bilder von Datenkraken und dem rapiden Niedergang von Datenschutz und Persönlichkeitsrechten. Doch die Vorteile überwiegen letztlich die Skepsis, wenn das Leben immer leichter und unkomplizierter wird, sei es im vernetzten Austausch über Länder- und Kulturgrenzen hinweg oder in der Echtzeit-Verfügbarkeit von Nachrichten- und Wissensinhalten, von Musik und Literatur oder von Verkehrs- und minutenaktueller Anti-Staunavigation.

Effizienz steigern mit Datenanalyse

Im produzierenden Gewerbe und in Dienstleistungsbereichen ermöglichen Daten erhebliche Effizienzsteigerungen. So können Betriebsabläufe mittels Datenanalyse besser kontrolliert, Fehler und Reibungsverluste frühzeitig erkannt und abgestellt sowie Prozesse fortlaufend optimiert werden. In der Logistik sind Daten und Datenanalyse seit langem fester Bestandteil der Steuerung von Waren- und Lieferketten. Sie sind Grundlage einer verlässlichen und maximal transparenten Gestaltung der Logistikprozesse. Sei es bei der Zusammenstellung von Ladungen, der Planung von Transportwegen, dem Einsatz unterschiedlicher Transportmittel oder bei der Sendungsverfolgung – kurzum bei der gesamten Netzwerksteuerung.

„Die Bedeutung von künstlicher Intelligenz, Machine Learning und Data Science für Transport, Logistik und Supply Chain Management wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen.“

Bei DACHSER und seinen weltumspannenden Netzwerken ist all dies „gelernt“. Schon Mitte der 1980er-Jahre entwickelte der Logistiker mit Domino den Grundstein seines Konzepts zur Verarbeitung von speditionellen Daten. Die Software umfasst die gesamten Abläufe rund um den Warentransport, neben dem Aus- und Eingang im Umschlaglager sowie Import und Export auch die Auftragsverwaltung, Disposition, Abrechnung und vor allem auch die Sendungsauskunft – das Tracking and Tracing. Heute gibt es neben Domino mit Mikado (Warehouse) und Othello (Luft- und Seefracht) zwei weitere, tief integrierte Systeme, die kontinuierlich erweitert werden. Das B2B-Gateway dient dabei als zentrale Kommunikationsplattform. Über das Portal eLogistics können DACHSER-Kunden die Aufträge webbasiert steuern. Hinzu kommt das Supply-Chain-Event-Management-Tool ActiveReport, das bei Abweichungen im Sendungsverlauf Alarm schlägt. Kurzum: DACHSER und die DACHSER-Kunden sind in der Datenwelt zuhause und machen sich diese für das Fulfillment jeden Tag zunutze.

IT unterstützt eine störungsfreie Zustellung.
IT unterstützt eine störungsfreie Zustellung.

Kein Alleingang

Um die Vorteile der Digitalisierung auszuschöpfen und die Netzwerkreife weiter voranzubringen, führt DACHSER eine noch tiefere Verschmelzung von IT und Logistik herbei. „Hier sind Speditionsexperten und Logistikpraktiker genauso gefragt wie Statistiker, Mathematiker, Informatiker. Allein kommt man nicht ans Ziel – intelligente Algorithmen für die Logistik kann man nur gemeinsam entwickeln“, stellt Stefan Hohm, Chief Development Officer (CDO) bei DACHSER, fest. Dies sei ein ständiger Prozess, der die technologische Entwicklung nicht nur widerspiegele, sondern auch mit vorantreibe.

Seit Anfang Juni dieses Jahres bündelt DACHSER dazu die bisher in unterschiedlichen Forschungs- und Innovationsprojekten erlangte Kompetenz in seinem neuen internen Kompetenzzentrum für „Data Science & Machine Learning“.

„Die Bedeutung von künstlicher Intelligenz, Machine Learning und Data Science für Transport, Logistik und Supply Chain Management wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Deshalb ist es von hoher Bedeutung für DACHSER, das Know-how in diesem wichtigen Feld weiter zu stärken sowie die Fähigkeit zur Umsetzung und zum operativen Betrieb von Machine-Learning-Anwendungen auszubauen“, erklärt Hohm.

Der Hintergrund für diese Kompetenzbündelung ergibt sich aus dem Logistikalltag. DACHSER produziert täglich große Datenmengen und schafft damit eine elementare Basis in der Entwicklung und Nutzung der neuen KI-Technologien. „Diese Daten werden wir zukünftig noch besser einsetzen und unseren Mitarbeitern noch bessere Entscheidungsgrundlagen liefern,“ sagt Florian Zizler, Team Leader Data Science & Machine Learning.

Wenn von Künstlicher Intelligenz die Rede ist, werden sehr schnell nicht nur positive Assoziationen geweckt: von Big Data-Maschinen mit einem unkontrollierbaren Eigenleben, von Robotern, die den Menschen ersetzen und im Arbeitsleben irgendwann komplett überflüssig machen. Da hilft zunächst einmal eine Begriffsklärung.

Verdammt zum ständigen Lernen

Der britische Logiker, Mathematiker, Kryptoanalytiker und Informatiker Alan Turing (1912–1954), einer der Vordenker der modernen Informations- und Computertechnologie, hat dazu einen pragmatischen Vorschlag zur Eingrenzung des doch sehr weiten Feldes der KI gemacht: „Eine Maschine ist intelligent, wenn nicht feststellbar ist, ob eine Person oder ein Computer mit einem kommuniziert.“ Und dann wäre da noch George Bernhard Shaw (1856–1950). Der irische Dramatiker stellte aus eigener Beobachtung fest: „Der Nachteil der Intelligenz besteht darin, dass man ununterbrochen gezwungen ist, dazuzulernen.“

Das Dazulernen übernehmen bei der Künstlichen Intelligenz die Algorithmen (für Nicht-Mathematiker: eine Folge von Anweisungen und Rechenoperationen innerhalb einer Software, mit der sich bestimmte Probleme lösen lassen). Und genau hier setzt Machine Learning als Teildisziplin der Künstlichen Intelligenz an. Anhand von Beispielen lernt das KI-System, Muster und Gesetzmäßigkeiten in Abläufen und Zusammenhängen zu erkennen, um so auch unbekannte Situationen zu meistern.

Konkrete Machine-Learning-Anwendungen entstanden bei DACHSER zuletzt im Rahmen des DACHSER Enterprise Labs gemeinsam mit Wissenschaftlern des Dortmunder Fraunhofer Instituts IML. Zum Beispiel: PAnDA One. Das Akronym steht für Predictive (P) Analytics (An) DACHSER (DA) und (One) für das erste Machine Learning (ML) Projekt.

Das PAnDA One-Modell wurde speziell zur Prognose der Eingangsmengen einer Road Logistics-Niederlassung konzipiert. „Unser Ziel ist es, den verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Niederlassungen eine Entscheidungsunterstützung für die saisonale Kapazitätsplanung bereitzustellen“, erklärt Thomas Schmalz, Head of Production Management bei DACHSER. So könne man frühzeitig entsprechende Laderaumkapazitäten auf dem Markt sichern, beziehungsweise Ressourcen im Umschlaglager vorplanen. „Dazu liefert das Prognosemodell entsprechende Eingangsmengen bis zu 25 Wochen im Voraus.“

Machine Learning sei dabei kein Selbstzweck, betont Schmalz: „Wir wollen den Niederlassungen ein Hilfsmittel an die Hand geben, das am Ende die Arbeit leichter, effizienter und auch attraktiver macht.“ Dass Rechenoperationen bei DACHSER den Menschen überflüssig machen, sei nicht das Ziel. „IT, Technik, das Netzwerk und der Mensch bilden bei uns eine Einheit – ein cyber-sozio-physisches System. Damit bringen wir unsere Kunden und uns selbst voran.“

Schritt für Schritt löst die Digitalisierung die händische Datenerfassung ab.
Schritt für Schritt löst die Digitalisierung die händische Datenerfassung ab.

Datenqualität ist alles

Der Erfolg von Machine Learning ist abhängig von der Qualität der eingegebenen Daten. „Die Daten sind wichtiger als der Algorithmus“, betont Thomas Schmalz. „Wir verfügen über einen einzigartigen Pool an konsistenten Daten in einer gesicherten, standardisierten Qualität.“ Hier sei DACHSER wegen seiner einheitlichen Systemlandschaft in European Logistics und Air & Sea Logistics und seiner in Jahrzehnten gewachsenen Netzwerkreife gut aufgestellt. „Das bringen nicht viele in der Logistik mit.“

Das Vorhandensein von guten Daten sei das eine, deren Interpretation und Nutzbarmachung das andere. „Machine Learning ist eine Teamaufgabe. Erfolgreiche Modelle sind nur möglich, wenn Prozessexperten zusammen mit den Machine-Learning-Experten aus dem Kompetenzzentrum Data Science & Machine Learning eng zusammenarbeiten. Wir brauchen einander“, bringt es Florian Zizler auf den Punkt.

Das Kompetenzzentrum für Data Science & Machine Learning verbindet die Welten von Logistik und IT. „Wir schaffen einen Raum, an dem die unterschiedlichsten Akteure zusammentreffen und ihre Fachexpertise einbringen. Der Austausch erfolgt unmittelbar und direkt. Schließlich geht es darum, mithilfe von Daten konkrete Prozesse zu modellieren“, sagt Florian Zizler. „Es ist für alle eine tolle Erfahrung, sich im interdisziplinären Austausch mit ganz konkreten Aufgabenstellungen auseinanderzusetzen und daraus hilfreiche Lösungen für den Logistikalltag zu entwickeln.“

Für PAnDA One haben die DACHSER-Experten im Kompetenzzentrum gemeinsam mit den jeweiligen Fachbereichen umfassend Prozesse analysiert und Kriterien für belastbare Prognosen identifiziert. „Wir gehen bei den Daten zurück bis ins Jahr 2011. Im Mittelpunkt stehen unsere historischen Sendungsdaten“, berichtet Florian Zizler. „Dieser Daten­-pool wird um kalendarische Daten wie zum Beispiel Feiertage oder Schulferien ergänzt. Das Modell erkennt damit die im Landverkehr so wichtigen saisonalen Muster. Um Trends noch besser zu antizipieren, haben wir außerdem verschiedenste Konjunkturindizes integriert.“

Die Berechenbarkeit künftiger Anforderungen und Kundenbedarfe findet allerdings noch ihre Grenzen, wenn sich die Rahmenbedingungen aufgrund unvorhergesehener gravierender Ereignisse verändern. „Für die Prognosen waren die volatilen Mengenschwankungen sowie die Corona-Pandemie natürlich eine Herausforderung“, sagt Florian Zizler. Sein Expertenteam und er bleiben aber optimistisch: „Wir werden hier bald wieder die gewohnt hohe Prognosequalität erreichen.“

Ein weiterer konkreter Anwendungsfall ist das sogenannte B2X-Labeling-Projekt. Aufgabe des Algorithmus ist es, die Datenqualität zu verbessern und ein Klassifizierungsproblem aus dem operativen Alltag zu lösen. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob es sich beim Empfänger um eine Firma (B2B) oder um eine Privatperson (B2C) handelt. Anhand der Auftragsdaten ist die Unterscheidung zwischen B2B und B2C nicht immer eindeutig. Für die logistischen Prozesse macht es aber einen Unterschied, ob ein Unternehmen oder ein Privathaushalt der Empfänger ist.

Beim maschinellen Lernen wird grundsätzlich zwischen einer Trainings- und einer Anwendungsphase unterschieden. Im Training werden dem ML-Algorithmus Beispieldaten gezeigt, um den Transfer vom Input zum Output zu erlernen. Als Inputdaten werden bei B2X insbesondere Auftragsdaten sowie geographische Daten aufbereitet. In der darauffolgenden „Anwendungsphase“ nutzt das trainierte Modell die erlernten Zusammenhänge, um im Echtbetrieb auf Basis neuer Informationen einen Output (B2B oder B2C) zu erzeugen. Das Projekt leistet einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssicherung, indem es nicht nur die Datenqualität erhöht, sondern auch Prozesse bei der logistischen Abwicklung weiter optimiert.

Darüber hinaus bewertet das Kompetenzzentrum laufend neue Ideen und mögliche Anwendungsfälle. Im Bereich der Prozessoptimierung und der Verbesserung ergonomischer Arbeitsbedingungen für Logistics Operatives im Umschlag erproben die ML-Experten gemeinsam mit dem Start-up MotionMiners an fünf Standorten ein neues Verfahren zur Verbesserung der Prozessqualität (wir haben darüber im DACHSER magazin 2/2021 berichtet).

Das Anwendungsgebiet für maschinelles Lernen ist breit. Vor diesem Hintergrund hat sich in den letzten Jahren ein robustes und dynamisches Open-Source-Ökosystem entwickelt. „Maschinelles Lernen wird die vielfältige Prozesslandschaft bei DACHSER zunehmend prägen. Dank der Verfügbarkeit von Open-Source-Anwendungen müssen wir nicht mehr alles selbst entwickeln. Durch den fachgerechten Einsatz dieser Algorithmen sind wir in der Lage, unser Datenpotenzial noch besser zur Wirkung zu bringen“, sagt Florian Zizler. Dies ist einer der Gründe, warum DACHSER Gründungsmitglied der Open Logistics Foundation ist (mehr dazu auf Seite 30). Das macht dann auch den Unterschied zum Öl vergangener Jahrhunderte: Daten versiegen nicht. Ganz im Gegenteil. Darauf lässt sich weiter bauen.

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